Die sechs Harmonien
Oft wird der harmonische Fluss und die Eleganz der Qigong-Bewegungen bewundert. Diese beruhen auf den so genannten drei äußeren und drei inneren Harmonien. Jede Bewegung wird achtsam im äußeren Erscheinungsbild koordiniert und mental von innen her aufgebaut.
Ein bewusster, entspannter und dennoch fester Stand der Füße gibt den Übenden das Gefühl, im Boden verwurzelt zu sein und ihren Standpunkt sicher zu behaupten. Ein sicherer Stand, verbunden mit gleichmäßiger Atmung, wirkt beruhigend auf die Psyche.
Der Geist kommt zur Ruhe und kann aus dieser offenen, wachen Aufmerksamkeit heraus die Intention einer Bewegung aufrufen; das Qi folgt dieser Intention und führt die Körperkraft von innen nach außen - bis in die Fingerspitzen. Diese Erfahrung lässt sich auf das Alltagsleben übertragen und hift uns, auch unerwarteten Situationen und unseren Mitmenschen ruhig, aufrecht und selbstsicher zu begegnen.
Feste, sichere Wurzeln sind die Voraussetzung für harmonische, ausgeglichene Bewegungen unseres Körpers. Auf einer guten "Erdung" der Füße können wir eine stabile und zugleich flexible Haltung aufbauen, wenn es uns gelingt Blockaden aufzulösen, die sich im Körper durch Fehlhaltungen, zu viel Sitzen oder falsche Bewegungsgewohnheiten entwickelt haben.
Verkürzte Muskeln und Faszien brauchen sanfte Dehnung. Unser Haltungsapparat muss wieder lernen, eine entspannte Struktur einzunehmen, damit unser Körper sich selbst optimal regulieren kann. Einer der einfachsten (nicht: leichtesten!) Wege dorthin sind die Übungen des Zhan Zhuang ("Stehende Säule").
Wenn kleine Kinder lernen sich aufzurichten, entwickeln sie schnell eine Haltung, in der der ganze Körper sehr entspannt ist und die zahlreichen Stürze beim Laufenlernen deshalb wenig Schaden anrichten können; natürlich sind auch alle Körpergewebe noch sehr weich und elastisch. Als Erwachsene haben wir diese "offene" Körperstruktur schon längst verloren: Nicht nur dass die Sehnen, Bänder, Gelenke mit zunehmendem Alter tatsächlich langsam starrer werden, wir tragen mit unserer bewegungsarmen Lebensweise viel dazu bei, dass diese Gewebe nicht gut versorgt werden oder durch zu geringe Beanspruchung verkürzen und verkümmern - use it or lose it!
Es geht aber nicht nur um den Bewegungsapparat! Verspannungen durch Fehlhaltungen oder verkürzte Muskeln signalisieren dem Gehirn, dass "etwas nicht stimmt" - warum sonst sollte sich der Körper so "seltsam" anfühlen? Botenstoffe werden ausgesendet, der Stresspegel steigt, Organe fahren ihre Tätigkeit zurück oder werden übermäßig aktiviert, neue Verspannungen entstehen: das ganze System des Körpers gerät in Unordnung, ein Teufelskreis entwickelt sich, Krankheiten können entstehen. Tiefe Entspannung in einer aufrechten Haltung führt zum gegenteiligen Effekt: Wenn der Körper Ruhe signalisiert, fährt das Gehirn alle übermäßige Anstrengung zurück und das System kann sich wieder selbst regulieren und gesund werden. Genau das ist das Ziel von Qigong allgemein und der Zhan Zhuang Übungen im Besonderen - und die Voraussetzung für Harmonie in der Bewegung, die von innen her kommt.
Nach und nach werden immer mehr Muskeln entspannt, Faszienbahnen (die weitgehend den Energieleitbahnen der chinesischen Medizin entsprechen) aktiviert und Gelenke mobilisiert, so dass immer tiefere Entspannung möglich wird. Eine besondere Rolle spielen dabei der Psoas-Muskel (der "Angst- oder Seelenmuskel") und die Plantar-Faszie unter der Fußsohle.